Juli 1874: „Arme Leute“

Cosima geht mit der Bezeichnung „arm“ nicht sehr differenziert um. So bezeichnet sie eine Pfarrersfrau als „arm“ , die trotz ihrer Armut „Goethe und Schiller und Humboldt im Schrank“ hat und lobt ihre „Schlichtheit“ (03.06.1874). Beim „armen Rechnungslehrer  Vogler“ rühmt sie, dass er sich über die neue Münze freut –  sie sei „schön, nobel“ und „der Deutsche könne sich damit sehen lassen“ – und dabei die damit verbundene Geldentwertung in Kauf nimmt (12.11.). Auf einem Spaziergang trifft Wagner „zwei arme Frauen, hohe Holzkörbe auf dem Rücken tragend“, denen er auf ihre Bitte als „freundliches Zeichen“ je einen Gulden gibt – und sich hinterher Gedanken macht, ob das nicht zu wenig gewesen sei (10.11.). Als ihm am 01.01.1875 wieder ein „armes Bauernweib“ begegnet, unterhält er sich mit ihm und gibt diesmal „ein großes Almosen“ – was Cosima – etwas schmallippig – nicht weiter kommentiert.
Dass Wagners Empfinden für gesellschaftliche Ungleichheit doch ausgeprägter ist als das Cosimas wird auch an einer Auseinandersetzung am 15.05.1874 deutlich: Cosima erfährt von der schweren Krankheit einer Freundin und verwendet „unwillkürlich“ das Zitat „wer nie sein Brot mit Tränen aß“. Wagner reagiert darauf äußerst gereizt und sagt: dies sei „der Ausdruck der Not eines Bettlers und könne nicht auf seelisches Leiden bezogen werden“.
Für einen Unfall auf der Baustelle des Festspielhauses hat Cosima dann nur die nüchterne Bemerkung übrig: „Ein Maurer stürzte heute vom Theater herab und blieb tot“ – und notiert mit Verweis auf Goethes Wahlverwandtschaften sinngemäß. dass kein Unglück „das Glück der Liebe“ trüben kann, „wenn man dabei immer glücklich sein will und ist“ (25.12.1874).

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